Zehn neue Stolpersteine für Singen

Veröffentlicht am 04.06.2024 in Veranstaltungen

Kleine Denkmäler in Singens Straßen erinnern an Nazi-Opfer / Erstmals Stolpersteine für Jenische

Stolpersteine, das sind zehn mal zehn Zentimeter große Messingtafeln, die in den Straßenbelag eingesetzt werden. 95 dieser Steine erinnern bereits an Opfer des Nazi-Regimes aus Singen. Sie liegen an Türen der Häuser, aus denen die betroffenen Menschen verhaftet und anschließend in Gefängnisse und Lager verlegt wurden, in denen sie vielfach gefoltert oder ermordet wurden. Am 13. Juni verlegt die Singener Initiative Stolpersteine zehn weitere dieser kleinen Denkmäler. Dabei wird erstmals an zwei verfolgte Mitglieder der Volksgruppe der Jenischen erinnert. Die Verlegung der Stolpersteine beginnt um 16:00 in der Ekkehardstraße 98 und endet um 18 Uhr in der Scheffelstraße 23. Dort soll die Verlegung mit einem Auftritt des jenischen Musikers Mano Trapp aus Lahr begleitet werden.

Die Initiative „Stolpersteine für Singen - gegen Vergessen und Intoleranz“ wurde 2009 von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) mit Unterstützung der Stadt Singen ins Leben gerufen. Sie erinnert an die Menschenwürde der Verfolgten, darunter Juden, politisch und religiös Verfolgte, Bibelforscher, Sozialisten, Kommunisten, Jenische, Sinti und Roma, Euthanasieopfer und Homosexuelle.

Zur Vorbereitung der Stolpersteine tragen Mitglieder der Initiative alle verfügbaren Informationen zu den Lebensgeschichten der Opfer zusammen. Für die diesjährige Stolpersteinverlegung wurden die notwendigen Recherchen von insgesamt 13 Schülerinnen und Schülern der Robert Gerwig-Schule und der Zeppelin-Realschule durchgeführt. Der Singener SPD-Landtagsabgeordnete Hans-Peter Storz, der die Initiative vor über zehn Jahren mitgründete, bedankte sich bei einem Pressetermin mit Oberbürgermeister Bernd  Häusler bei engagierten Schülerinnen und Schülern sowie den betreuenden Lehrkräften für ihr Engagement.

Drei Gründe machen nach Aussagen von Hans-Peter Storz die diesjährige Stolpersteinverlegung zu einer besondern „Erstens aufgrund des Jubiläumjahrs von 75 Jahren Grundgesetz. In seinem ersten Artikel steht wegen der historischen Erfahrung des Zivilisationsbruchs des Holocaust zu Recht die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Es ist wichtig, an diesen Grundsatz zu erinnern und ihn nicht für selbstverständlich zu halten. Deswegen ist es unabdingbar diesen Grundsatz an jüngere Generationen weiterzutragen. Daher ist der zweite Grund für die besondere Bedeutung die Mitarbeit von Schülerinnen und Schülern an der Erarbeitung der Biografien für die Menschen, an die mit den Stolpersteinen erinnert werden sollen. Als drittes werden dieses Jahr erstmals in Singen Stolpersteine für Angehörige der Jenischen verlegt.“

Die 13 Schülerinnen und Schüler haben sich gemeinsam mit ihren Lehrern intensiv mit den einzelnen Biografien beschäftigt und sind sogar nach Freiburg gereist, um Akten einzusehen. Romana Kipper, die betreuende Lehrerin an der Robert-Gerwig-Schule war begeistert von der Arbeit ihrer Schülerinnen und Schüler. „Als Lehrerin stellt man sich bei größeren Projekten immer die Frage, ob man die Schülerinnen und Schüler dafür motivieren kann. Das war jedoch gar kein Problem. Im Gegenteil. Die Schüler sind an ihren Aufgaben gewachsen und haben sich intensiv in die Materialien eingelesen. Sie haben meine Erwartungen übertroffen.“

Finn, ein Schüler der Robert Gerwig Schule, bestätigt das: „Die Lehrer haben uns die Akten bereitgestellt und vorbereitet. Wir haben es durchgearbeitet und das Wichtigste zusammengefasst. Es ist schon etwas anderes sich allgemein mit dem Thema „Holocaust“ zu beschäftigen oder ein ganz individuelles menschliches Schicksal zu untersuchen.

Oberbürgermeister Bernd Häusler betonte die Bedeutung dieses Projekts: „Die Stadt Singen hat vor über zehn Jahren beschlossen, dass bei uns Stolpersteine verlegt werden. Es war eine einstimmige Entscheidung des Gemeinderats, um auch nach vielen Jahren auf die Opfer der NS-Zeit hinzuweisen. Wir wollen sicherstellen, dass so etwas nie wieder passiert. Deswegen sind wir dankbar, dass junge Menschen sich aktiv an der Aufarbeitung der Biografien beteiligen.“

So wird daran erinnert, dass sich hinter jedem verlegten Stolperstein Menschen mit eigenen Lebensgeschichten verbergen. So etwa die der Familie Guggenheim. Wilhelm, Jette und ihr Sohn Hans-Hartwig flohen vor der Verfolgung nach Frankreich. Wilhelm und Jette wurden dort inhaftiert und nach Ausschwitz deportiert, wo sie im selben Jahr starben. Hans-Hartwig floh zuerst in die Schweiz und dann in die Vereinigten Staaten.

Max Neustädter war Lehrer an der Singener Oberrealschule, dem heutigen Hegau-Gymnasium. Wegen seiner jüdischen Abstammung floh er 1934 nach Frankreich, wo er sich während der deutschen Besatzung ¬ zuerst in einem Hotelzimmer, dann nach der Entdeckung durch die GESTAPO im Untergrund – versteckt halten musste.

Familie Breger war eine jüdische Familie rumänischer Herkunft, die nach Singen gezogen war. Zur Familie gehörten Josef Breger, Adele Breger und ihr Sohn Berthold. Nach einem nächtlichen Angriff, bei dem Josef Breger niedergeschlagen und beinahe erstochen wurde, packten er und seine Familie ihre Sachen und flohen über Rumänien 1938 nach Palästina.

Fridolin Maurer wurde wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD verhaftet. Auch nach der Machtergreifung verteilte er noch Flugblätter der mittlerweile durch das NS-Regime verbotenen Partei. Er überlebte und erhielt erst nach mehr als 30 Jahren eine "Entschädigung" von 266 D-Mark.

Erstmalig werden bei dieser Verlegung auch zwei Steine für Personen der Volksgruppe der Jenischen verlegt. Die Brüder Kaspar und Alois Jakob Hartmann wurden 1941 und 1942 wegen unerlaubten Umherziehens verhaftet und im KZ Mauthausen und dem KZ Majdanek ermordet. Eine Entschädigung gab es nicht. Man begründete das damit, dass sie nicht aus „rassischen“ Gründen verhaftet worden seien.

Die Jenischen, die als „fahrendes Volk“ vor allem in der Schweiz, Süddeutschland, Österreich und Teilen Frankreichs leben, wurden von den Nationalsozialisten verfolgt. Ihre Geschichte ist eng mit der Stadt Singen verflochten, jedoch einer breiteren Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt. Mit den Stolpersteinen soll an ihr Leiden erinnert und die Anerkennung dieser wenig bekannten Volksgruppe gefördert werden.

Die Verlegung der Stolpersteine in Singen ist ein bedeutendes Zeichen gegen das Vergessen und für die Erinnerungskultur. Es ist ein Appell an alle Generationen, dass solche Unrechtstaten nie wieder geschehen dürfen.  Bei Interesse an der Mitarbeit in der Initiative „Stolpersteine für Singen - gegen Vergessen und Intoleranz  oder an einer Patenschaft für einen Stolperstein (120,00 EUR) können sich Bürger gerne an die Organisatoren wenden.

 

 
 

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